Arrival

My mother is noticeably quiet, her face looks tense. At home I told her not to expect too much.
But maybe I was talking to myself as well.

To be honest, I’m afraid of returning to Germany empty-handed, of disappointing my parents and myself. Four days lie ahead of us. Four days in which we have to collect all materials, sound, and images; memories and moods; all colors, words and faces.

Other questions also cross my mind:
How will we meet people here in this (strange) country? What will they think of us and the reason we are here? And one question that stands above all: Will we even find the grave of my grandfather?

The sun is shining when we land east of Minsk in a Belavia Airlines plane.

A man named Ilya is meant to pick us up from the airport. He walks to us and smiles from ear to ear. I immediately like him.

His own car is broken, he tells us. And so he rented a van with a driver. We put the luggage in the car and start driving. Without being prompted, Ilya starts talking about his country. That everything here is going downhill. About the economy, which suffers from the fetters of controls. No Belarus product would be able to compete. The televisions come from China. And the apples rot in the warehouses, unable to be preserved.

Ilja describes his country’s conditions with laconic irony and a certain defiance. It’s how it is. And it has to go on anyway.

Minsk. Capital and center of Belarus, which many still call »White Russia.« Built after the war as socialist utopia, it’s a sun city in neoclassicist style. It appears as if it’s fallen out of time. With the »last dictator of Europe« at the front, as Western media dubbed Lukaschenko.

A first look out from the window doesn’t fully reveal that we’re still in the suburbs. Everywhere are prefabricated buildings, and they’re unexpectedly colorful and neat.

You don’t see graffitti anywhere on the walls and facades. Vandalism would be heavily penalized. One drag from a joint could mean eight years in prison. Dictatorships obviously don’t mess around.

The state’s strictness meant that no one would even have the idea of stealing a car, as Ilya tells us. He would leave his own car unlocked sometimes.

I can’t avoid the slightly cynical thought that the police state apparently also has a good influence on its citizens’ morality. In Berlin, our five-floor prewar house gets broken into all the time. Bicycles are stolen, doorknobs knocked off, prams torched, and flats burgled. You have to lock everything and be on guard.

»Hotel Belarus?« asks Ilja surprised. He himself would obviously have chosen another hotel.

The passport control in the entrance hall seems like a commissarial inspection. Exhaling in the elevator. Soviet charm welcomes us in the hallways. Our sixteenth-floor room is simple and modest. The view stretches over a park with artificial lakes; behind it rises a colony of steel-concrete towers.

We eat dinner in the panorama restaurant on the hotel’s upper level. Underneath us, the evening Minsk glows.

A major portion of the city was left in ruins. First the Germans marched in. Soon the Red Army came from the opposite direction.

Times change. The tourists today eat salmon peacefully, and pay in euro or rubles. And the Russians deliver gas. The relationship between both countries relies on the current gas price, says Ilya.

The old wars were over. But the mistrust lives on in the memory of a nation that again and again was the victim of their neighbors from east and west.

Precise and slightly stiff-mannered waitresses pour wine, with one hand left on our backs. At the neighboring table, a wedding is celebrated with discipline. Mobile phones and Coca-Cola from two-liter bottles are gladly tolerated sins from the West.

In the meantime my parents are quite animated with the unexpected adventure that life is providing in their older days. They’ve had a little too much to drink. But they’re not alone in that state.

My mother says to us, »What would my dead mother say if she could see me here? It’s not that bad here! I was so afraid to come here! We refugees from East Prussia had such an enemy image of the Russians, but they’re people like us.«

Ankunft

Meine Mutter ist auffallend still, ihr Gesicht angespannt. Zu Hause habe ich ihr gesagt, sie solle nicht zu viel erwarten.
Aber vielleicht habe ich das auch zu mir selbst gesagt.

Ehrlich gesagt hoffe ich wirklich, nicht mit leeren Händen nach Deutschland zurückzukehren. Vier Tage stehen uns nun bevor. Vier Tage, in denen es alles mitzunehmen gilt an Material, an Ton und Bild, an Erinnerungen und Stimmungen, an Farben, an Worten und Gesichtern.

Andere Fragen kommen mir in den Sinn:
Welche Menschen werden wir treffen? Wie werden sie mir begegnen? Was werden sie denken von mir und dem Grund, aus dem ich hier bin? Werden sie mich verurteilen? Und eine Frage steht über allem: Werden wir das Grab des Großvaters überhaupt finden?

Als wir mit einer Maschine der Fluggesellschaft Belavia östlich von Minsk landen, scheint die Sonne.

Ein Mann namens Ilya soll uns vom Flughafen abholen. Er kommt auf uns zu, er lächelt von einem Ohr zum anderen. Er ist mir auf Anhieb sympathisch.

Sein eigener Wagen ist defekt, erzählt er uns. Und so hat er einen Van samt Fahrer gemietet. Wir verstauen das Gepäck und fahren los. Ilya beginnt unaufgefordert von seinem Land zu erzählen. Davon, dass hier alles den Bach runter gehe. Von der Wirtschaft, die unter den Fesseln der Planwirtschaft leide. Kein belarussisches Produkt sei konkurrenzfähig. Die Fernseher würden aus China importiert. Und die Äpfel verfaulten in den Lagern. Man schaffe es nicht, sie haltbar zu machen.

Ilja beschreibt die Zustände in seinem Land mit lakonischer Ironie und einem gewissen Trotz. Es ist, wie es ist. Und trotzdem muss es weitergehen.

Minsk. Hauptstadt und Zentrum von Belarus, für viele auch »Weißrussland«. Nach dem Krieg erbaut als sozialistisches Utopia, als Sonnenstadt im neo-klassizistischen Stil. Es wirkt wie aus der Zeit gefallen. Mit dem von westlichen Medien betitelten »letzten Diktator Europas« an der Spitze.

Das ist beim ersten Blick aus dem Auto-Fenster nicht zu erkennen, aber noch sind wir in den Vororten. Überall Plattenbauten, unerwartet farbenfroh und gepflegt.

Man sieht nirgends Graffitis an den Wänden und Fassaden, sogenannter Vandalismus würde hart bestraft. Der Zug an einem Joint könne einem Jugendlichen hier acht Jahre Gefängnis einbringen. Diktaturen verstehen offensichtlich keinen Spaß.

Die Härte des Staates habe zur Folge, das niemand auf die Idee komme ein Auto zu stehlen, wie Ilya erzählt. Sein eigenes ließe er manchmal einfach offen stehen.

Ich kann mir den etwas zynischen Gedanken nicht verkneifen, dass der Polizeistaat anscheinend auch mal einen guten Einfluss auf die Moral der Bürger ausübt. In Berlin wird ständig in unserem 5-stöckigen Gründerzeithaus eingebrochen. Fahrräder werden geklaut, Türknäufe mit dem Hammer abgeschlagen, Kinderwagen in Brand gesetzt und Wohnungen werden leergeräumt – man muss alles abschließen und auf der Hut sein.

»Hotel Belarus?«, fragt Ilja verwundert. Er selbst hätte sich wohl für ein anderes Hotel entschieden.

Die Passkontrolle in der Eingangshalle gleicht einer komissarischen Inspektion. Aufatmen im Aufzug. In den Fluren empfängt uns Sowjet-Charme.

Unser Zimmer im sechzehnten Stock ist einfach und schlicht. Der Blick schweift über eine Parkanlage mit angelegten Seen, hinter der ein Wildwuchs aus Stahlbeton aufragt.

Zu Abend essen wir im Panorama-Restaurant im obersten Stockwerk des Hotels. Unter uns das Leuchten des abendlichen Minsk.

Ein Großteil der Stadt wurde im zweiten Weltkrieg in Trümmer gelegt. Erst marschierten die Deutschen ein. Bald kam die rote Armee aus entgegengesetzter Richtung.

Die Zeiten ändern sich. Die Touristen essen hier heute friedlich Lachs und zahlen in Euro oder Rubel. Und die Russen liefern das Gas. Das Verhältnis der beiden Länder hänge laut Ilya vom aktuellen Gaspreis ab.

Die alten Kriege seien vorbei. Aber das Mistrauen lebe doch immer weiter im Gedächtnis einer Nation, die immer wieder Opfer der Nachbarn aus Ost und West wurde.

Akkurate und etwas steife Kellnerinnen schenken uns Wein ein, eine Hand an den Rücken gelegt. Am Nebentisch wird mit großer Disziplin eine Hochzeit gefeiert. Handys und Cola aus 2-Literflaschen sind gern geduldete Sünden aus dem Westen.

Meine Eltern sind mittlerweile ganz beseelt von dem unverhofften Abenteuer, das ihnen das Leben auf die alten Tage schenkt. Sie haben etwas zu viel getrunken. Doch damit sind sie nicht allein.

Meine Mutter sagt zu uns: »Was würde meine verstorbene Mutter wohl sagen, wenn sie mich hier sehen könnte? Es ist hier ja gar nicht so schlimm! Ich hatte solche Angst hierher zu kommen! Wir Flüchtlinge aus Ostpreußen haben damals so ein Feindbild gehabt von den Russen, aber das sind ja Leute wie wir.«

 

Text by Astrid Schult and Oliver Seiffert, translation by Clara Herrmann, images by Astrid Schult