Italy & Bulgaria

Wann gehört man zu einer Stadt, zu einem Ort? Wann gehört eine Stadt zu einem? Ist das korrekt, kann man das so sagen? Oder sind es nur die Viertel, die Straßen und die Gebäude, die zu uns gehören? Ich weiß nicht einmal, ob es mir überhaupt gestattet ist, zu einem Ort zu gehören oder einen Ort in Besitz zu nehmen. Meine Stadt. Mehrere Städte. Meine Städte. Mein Nirgendwo.

Ich bin in Florenz geboren. Das steht in meinem Reisepass, steht in all meinen Dokumenten. Aber diese Stadt gehört nicht zu mir. Und ich gehöre nicht zu ihr. Ich erinnere mich, wie in den Neunzigern, als ich noch ein Kind war, in unserer kleinen Stadt, unweit von Florenz, in der ich aufgewachsen bin und in der meine Familie und Freunde noch heute leben, eine Welle von Leuten aus Albanien ankam. Ich wusste nicht, warum sie kamen. Ich wusste nicht, woher sie kamen und wie lange sie vorhatten zu bleiben. Ich wunderte mich nur, warum so viele Menschen sich entschlossen hatten, ihr Land zu verlassen. Ich konnte es einfach nicht verstehen. Und genauso wenig wie ich es damals verstand, verstanden es die anderen. Der Bahnhofsplatz dieser kleinen Stadt war damals schon ein Knotenpunkt für die bekanntesten Touristenziele der Toskana. Diese Menschen jedoch waren keine Touristen. Und sie wurden auch nicht als solche begrüßt. Der Platz wandelte sich schnell zu einem Ort, den man lieber meiden wollte, einem Ort, den man nicht mehr so sorglos überquerte. Eine Art »geschlossene Gesellschaft« versammelte sich dort, und »die Anderen« hatten, wollten keinen Zugang haben. Der Bahnhof ist noch immer da, und auch der Platz. Busse und Züge kommen weiterhin dort an, aber auf die Nationalitäten der Reisenden achtet man nicht mehr. Es gibt eine Bar, und dort trifft man sich täglich, nicht nur Leute aus Albanien, sondern Leute aus allen möglichen Regionen Italiens, Europas und der ganzen Welt.

Heute sitze ich auf dem Dach des Canetti Hauses in Ruse, Bulgarien. Als Canetti ein Kind war, haben in Ruse viele verschiedene Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammengelebt. Er beschreibt in seinen biografischen Büchern, wie alles, was er später als erwachsener Mensch an anderen Orten erlebte, schon einmal in Ruse geschehen war. Er beschreibt, wie all diese Sprachen und Kulturen gut miteinander auskamen, und so auch die Bewohner von Ruse. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich lese seine Texte heute, und irgendwie riechen sie nach Verständigung. Ich schaue über die Dächer von Ruse, über die Donau in Richtung Rumänien … und ich frage mich, ob es heute Verständigung gibt. Bestimmt gab es sie nicht, als die Nicht-Touristen damals auf unserem Bahnhofsplatz ankamen.