monsterlesen

* »in the world you will have tribulation« (john 16.33)

* »it is the principle that does not fail, even when all other principles fail.«(niklas luhmann: ecological communication)

* »he built a trap as his burrow. he set himself inside it, passed it off as a normal burrow.«(hannah arendt on heidegger: essays in understanding 1950-1973)

* »Angstloch (fear hole)! please enter slowly!« (anonymous)

i saw it sitting on the coatrack as i left the kitchen: a round, white being. i got scared. this little being, about the size of a football, with light violet-blue feathers, and square, green eyes, also shrieked when it saw me. since i had been repeatedly reading a short story by an author named kafka a few hours earlier – about a flat star-shaped coil of yarn called odradek – i thought my imagination was tricking me. »or maybe not?«, i first asked myself, and then decided to put it to the test by trying to catch it in a sudden movement – which pretty instantly revealed itself as pointless, as the monster was highly flexible.

i asked myself, if there was such a thing as monsterlesen (monster picking)

completely out of breath i stood in the door frame and suddenly had to think of the term federlesen (feather picking). i asked myself, if there was such a thing as monsterlesen (monster picking). to get something done without much federlesen – or to do something without extensive federlesen – after all means to do something without much ado or with no real concern for losses. the term is derived from the middle high german vederlesen, which described the picking of feathers, lint, or dust off a respectable person’s dress. in the middle ages this tedious process was understood as a favor or flattery. what could monsterlesen mean? the diligent searching and finding and gathering of everything monstrous and/or of all else that is bustling around in the world and in the air, that prevails and maybe wants to stick to bodies and minds?

an exciting conversation began between us

without warning the monster started talking to me and said: »yes, or monster feather picking.« it told me that it sometimes wished for someone to lovingly pick anything unpleasant off its feathers. everyone was afraid of it and tried to throw dangerous objects at it, when it was just another being, just like everyone else. after that it spoke passionately and elaborately about its feelings for cats, pipes, far away countries, and various kinds of candy. an exciting conversation began between us, because, much to my surprise, it was an eloquent and highly literate monster.

it studies media content of the alt-right and the new right

it did not take long for us to talk about the current political situation. it told me, it simultaneously studies media content of the alt-right and the new right. quite baffled, I asked, if it was not afraid. »of what?«, it replied and continued: »of their hurtful language, of their stunning bitterness, of their boundaries-expanding defamation, of their ruthless revising of history, of their fake news, of their horrifying metaphors, of their infamous analogies, of their poisonous breath, or of their demonic devil’s workshop?« »yes«, I said, »for example: how do you react, when you read about ›asylum drunkenness‹, ›sharia-welcome-courses‹, ›the ruling feminate‹, ›birthing machines in hijabs‹, ›joachim-is-now- jessica-doctrine‹, ›the emasculation of society‹, ›homo capital‹, ›voluntary umvolkung‹, ›white betrayal‹, ›black invasion‹, ›our streets‹, ›monstrous gangs‹ and so on?«

even in the Angstloch one can find useful things

it seems i had raised my voice a little. the monster was silent awhile. and then it suddenly said: »in medieval castles and fortresses there are narrow entrances to a room below. this room, called Angstloch, may likely have been a dungeon, a shelter, or even a storage space: they held stones used as missiles during sieges. so, even in the Angstloch and the devil’s workshops one can find useful things. they are tryout spaces. for example: to try a reacquisition of the forgotten and neglected. they are spaces for questions. for example: where do i stand regarding the topics of poverty? work? apartment? income? and also: if there is talk about grounds, identities, and consistencies, then i know i will have to drill even more holes. into them!«

suddenly came out of the living room, the colorful monster

as soon as it had finished talking, my little black cat, who had apparently just woken up, suddenly came out of the living room and saw, with instantly glowing eyes, the colorful monster, who, almost scared to death, first jumped up and then headed towards me with a remarkable swiftness. as it landed in my hands, the cat turned around and, with smooth steps, walked back into the living room. »don’t be afraid«, i said, »this is odradek.«
 


 

* »in der welt habt ihr angst« (johannes: 16,33)

* »sie [angst] ist das prinzip, das nicht versagt, wenn alle prinzipien versagen«(niklas luhmann: ökologische kommunikation)

* »er baute sich eine falle als fuchsbau, setze sich in sie, gab sie für einen normalen bau aus«(hannah arendt über heidegger: denktagebuch 1950-1973)

* »angstloch! bitte langsam eintreten!« (unbekannt)

 

als ich die küche verließ, sah ich auf dem garderobenhaken ein rundliches weißes wesen sitzen. ich bekam angst. das kleine wesen, ungefähr so groß wie ein fußball, mit lilablassblauen federn und viereckigen grünen augen, schreckte auch hoch, als es mich sah. da ich einige stunden davor zum wiederholten male die kurzgeschichte eines autors namens kafka gelesen hatte in der es um eine flache sternartige zwirnspule namens odradek geht, dachte ich, dass es nur ein fantasiebild wäre. »oder doch nicht?«, rätselte ich zuerst und wollte es dann überprüfen, in dem ich es mit einer ruckartigen bewegung zu fangen versuchte, was sich schnell als sinnlos erwies, denn das monster war außerordentlich beweglich.

ich fragte mich, ob es »monsterlesen« geben könnte

völlig außer atem stand ich in der türschwelle und musste plötzlich an den ausdruck »federlesen« denken. ich fragte mich, ob es auch so etwas wie »monsterlesen« geben könnte. etwas ohne viel federlesen oder ohne langes federlesen zu tun, heißt ja in etwa, etwas ohne umstände oder große rücksicht zu machen. die wendung kommt aus dem mittelhochdeutschen »vederlesen«, das das ablesen von federn, fusseln und staub vom kleid vornehmer personen bezeichnete. die mühsame arbeit wurde im mittelalter im sinne von schmeichelei und gefälligkeit verstanden. was könnte also »monsterlesen« bedeuten? das fleißige suchen, finden und wegklauben alles ungeheuerlichen und/oder dessen, was sonst noch in der welt und luft herumschwirrt, herumwaltet und an geist und körper haften bleiben will vielleicht?

ein aufregendes gespräch entwickelte sich zwischen uns

das monster fing unvermittelt an zu sprechen und sagte: »ja, oder monsterfederlesen.« es erzählte mir, dass es sich auch manchmal jemanden wünsche, der ihm alles unangenehme liebevoll von seinen federn entfernen könne. alle hätten angst vor ihm und versuchten es mit gefährlichen gegenständen zu bewerfen, dabei sei es auch nur ein lebewesen wie alle anderen. danach sprach es leidenschaftlich und ausführlich über seine gefühle zu katzen, pfeifen, fernen gegenden und diversen süßigkeiten. ein aufregendes gespräch entwickelte sich zwischen uns. denn es war zu meiner überraschung ein redegewandtes und besonders belesenes monster.

recht verblüfft fragte ich es, ob es nicht angst hätte

irgendwann kamen wir auch über die aktuelle politische situation zu sprechen. es sagte mir, es studiere gelegentlich medieninhalte aus dem umfeld der rechtsextremisten und der sogenannten neuen rechten. recht verblüfft fragte ich es, ob es nicht angst hätte. »wovor?«, entgegnete es und fuhr fort: »vor ihrer verletzenden sprache, vor ihrer wuchtigen verbitterung, vor ihren entgrenzenden diffamierungen, vor ihrem rabiaten geschichtsrevisionismus, vor ihren verfälschten meldungen, vor ihren schauerlichen metaphern, vor ihren infamen analogien, vor ihrem verpesteten atem, vor ihrer dämonischen giftküche etwa?«. »ja!«, sagte ich, »zum beispiel: wie reagierst du, wenn du dinge liest wie ›asylbesoffenheit‹, ›scharia-welcome-kurs‹, ›das herrschende feminat‹, ›kopfbetuchte gebärmaschinen‹, ›von joachim zu jessica-doktrin‹, ›entmannung der gesellschaft‹, ›homo hauptstadt‹, ›voluntaristische umvolkung‹, ›weißer verrat‹, ›schwarze invasion‹, ›unsere straßen‹, ›monströse banden‹ und so weiter?«.

auch in den angstlöchern kann man nützliche dinge finden

ich schien etwas laut geworden zu sein. das monster schwieg eine zeit lang. und sagte auf einmal: »in mittelalterlichen burgen und festungen gab es einen engen zugang zu einem darunterliegenden raum. dieser raum, angstloch genannt, hatte vermutlich die funktion eines verlieses, eines unterstandes, aber auch eines vorratslagers. in ihnen wurden zum beispiel auch steine gelagert, die als wurfgeschosse im falle einer belagerung verwendet wurden. auch in den angstlöchern und giftküchen kann man nützliche dinge finden. das sind orte für versuche. zum beispiel: der versuch einer wiederaneignung des vergessenen oder des vernachlässigten. es sind orte für fragen. zum beispiel: wie stehe ich zu themen wie armut? arbeit? wohnung? lohn? außerdem: wenn dort von böden, identitäten und konsistenzen die rede ist, dann weiß ich, ich muss noch mehr löcher bohren. in sie hinein!«

kam meine kleine schwarze katze aus dem wohnzimmer

kaum hatte es zu ende gesprochen, kam plötzlich meine offensichtlich gerade aufgewachte kleine schwarze katze aus dem wohnzimmer raus und erblickte mit plötzlichen glühenden augen das bunte monster, das nun wie zu tode erschreckt erst hochsprang und dann beeindruckend schwungvoll auf mich zusteuerte. als es auf meinen händen landete, drehte sich die katze um und ging mit geschmeidigen schritten zurück ins wohnzimmer. »keine angst«, sagte ich, »das ist odradek«.